Paulines zeterndes Keifen
Warum ließen sich Richard und Pauline Strauss nicht scheiden?
„Ein Heldenleben“: Des Helden Gefährtin – die musikalische Darstellung von Szenen einer Ehe und ihr astrologischer Hintergrund
Die Anziehung zwischen den beiden beruhte nicht auf synastrischen oder anderen interpersonellen astrologisch definierten Wechselwirkungen (WW), sondern auf starken strukturellen Ähnlichkeiten, die in diesem Ausmaß selten anzutreffen sind. Sie sind auch optisch sehr auffällig.
Die topozentrischen Haupt-Teilstrukturen der Geburtshoroskope:
Richard Strauss, *11.6.1864 gegen 6 Uhr Ortszeit
in München
Pauline Strauss-de Ahna, *4.2.1863
in Ingolstadt, Geburtszeit unbekannt;
die quintilischen Dreiecke bestanden ganztägig.
Bei beiden liegt ein Bezug Venus-Mars-Saturn (d/e/g) vor. „Männlicher“ und „weiblicher“ Persönlichkeitsanteil standen miteinander in WW, beide dabei in WW mit Saturn, zuständig u. a. für Beschränkung/Ordnung/Hemmung.
Die heliozentrischen Haupt-Teilstrukturen:
Richard Strauss
Pauline Strauss-de Ahna
Noch wichtiger ist die Ähnlichkeit der Konstellationen aus Perspektive der Sonne. Hier bestehen sogar WW zwischen fünf Planeten. Wiederum sind Venus und Mars beteiligt, die nun Bezüge zu Jupiter (f) aufweisen, dem „Gegenspieler“ Saturns. Zusätzlich tritt Merkur (c) hinzu.
Die persönlichkeitsstrukturell betonten Themen waren dadurch bei beiden
- Aktion + Reaktion, Durchsetzung + Reaktionsbereitschaft, „aktiv“ + „passiv“ (e/d),
- Ordnung/Strukturierung des Harmonisch-Ausgleichenden (g/d),
- Optimierung des Harmonisch-Ausgleichenden (f/d),
- Ordnung/Strukturierung der Handlungsdynamik (g/e),
- Optimierung/Maximierung der Handlungsdynamik (f/e),
- Expansive Maximierung sprachlich-intellektueller Äußerung (c/f),
- Harmonisierung des Denkens, Intellektualisierung des Harmonisierend-Ausgleichenden (c/d),
- Plötzliche, überraschende Aktivitäts-„Ausbrüche“ (e/h).
Innere Widersprüche sind offensichtlich. Zum direkten Gegensatz zwischen Handlungsimpulsen (e) und der Neigung, reaktionsbereit abzuwarten (d), tritt der Gegensatz expansive Maximierung (f)/ordnende Beschränkung (g), und zwar sowohl in Bezug auf Aktivität als auch auf Passivität, genauer und besser: Re-Aktivität.
R. und P. konnten sich aufgrund ihrer strukturellen Verwandtschaft einander wechselseitig „partiell vertreten“. Das wirkt entlastend und baut innerpersönliche Spannungen ab.
Drei Beispiele:
P.'s Jupiter (Maximierung) konnte R.'s Mars (Aktivität) förderlich sein. Damit wurde seiner Neigung zu einer gewissen Lethargie (Mars, Handlungsantrieb, gehemmt durch Saturn) bekämpft – P.’s Jupiter konnte R.’s Mars zu Aktivität provozieren, weil sowohl bei ihr als auch bei ihm ein e-f-Aspekt vorlag.
Die inneren Konflikte manifestierten sich in den Interaktionen der beiden. Es ist bekannt, dass es zwischen ihnen oft zu lautstarken Auseinandersetzungen kam. Es ist auch überliefert, dass diese weit überwiegend durch Pauline ausgelöst wurden. Ihre verbalen Attacken entsprachen einer Maximierung (Jupiter) von Handlungsimpulsen (Mars, Aggression) und sprachlichem Ausdruck (Merkur). Erträglich und verständlich waren sie für R., weil bei ihm selbst ebenfalls strukturelle WW zwischen f/c und f/e bestanden.
P.’s Mars konnte R.’s Venus „bedrängen“ (Aktivität contra Reagibilität, vertauschte Rollen), weil bei ihm selbst auch ein e-d-Aspekt vorhanden war.
P.’s heliozentrische Mars-Uranus-Konjunktion machte sich, auch infolge der topozentrischen Mars-Pluto-Konjunktion, deutlicher bemerkbar als das entsprechende Trigon bei R. Die Entwicklung einer aggressiven Streitlust wurde erleichtert. So wirkte sich die Thematik des plötzlichen, oft irrationalen Handlungsimpulses (e/h) bei ihr in teilweise verletzendem, übergriffigem Verhalten gegenüber anderen Personen aus, was durch das Plutothema Machtausübung, auch „aus dem Hinterhalt“, begünstigt wurde. So schnitt sie beispielsweise einem ihrer weiblichen Gäste völlig unerwartet die Hutkrempe ab, mit dem anschließenden Kommentar So ist’s besser.
Strauss wurde zu etlichen seiner Werke durch die Lebensrealität inspiriert, besonders deutlich erkennbar in seiner Sinfonia domestica. Die Herstellung einer Beziehung zwischen seiner Musik und realen Vorgängen ist daher zulässig. So hat er in der Sinfonischen Dichtung Ein Heldenleben mit Des Helden Gefährtin musikalisch recht eindrücklich den Verlauf eines Streits dargestellt.
Den Part der Gefährtin übernimmt eine Solovioline, den des Helden das Orchester. Auf die Äußerungen der Geige folgen jeweils orchestrale Reaktionen. Der Titel dieser Betrachtung, Paulines zeterndes Keifen, bezieht sich auf entsprechende Passagen des Geigensolos. Es lässt sich wohl darüber streiten, ob die Geige hier nun tatsächlich zeternd keift, oder ob sie vielleicht eher meckernd lamentiert oder quengelnd geifert. Aber alle diese Charakterisierungen entsprechen Passagen der Violine.
Die Antworten des Helden bestehen aus weitgehend identischen Versuchen der Beschwichtigung, Besänftigung und Beruhigung, zu denen er immer wieder ansetzt. Nach etlichen Anläufen gelingt das schließlich auch: „Die Geige beruhigt sich“ und passt sich dem melodischen Fluss des Orchesters an – es kommt zu einer Versöhnung, die schließlich sogar in voluminösem Wohlklang kulminiert.
Über die üblichen Interpretationshinweise hinaus hat Strauss in der Partitur in Klammern stehende „Regieanweisungen“ für den/die Ausführende(n) gegeben. So beginnen die Solopassagen mit heuchlerisch schmachtend, analog einer „venusisch maskierten“ Aggression im Sinne der Mars-Pluto-Konjunktion (s. o.). Es folgt das „zeternde Keifen“ der Geige, dem diese Worte zugeordnet sind:
leichtfertig
übermütig sehr scharf drängend
drängend und immer
heftiger zornig schnell und keifend
Diese überwiegend „marsischen“ Adjektive stehen im Wechsel mit „venusischen“:
zart, etwas sentimental getragen liebenswürdig
lustig
beruhigend zart und liebevoll
Es ist also kein gleichförmiges Wüten, sondern es gibt friedlich-versöhnliche Passagen, wobei das Venusisch-Verbindliche zunächst irreführend ist. Denn schnell wird immer wieder deutlich, dass es nur im Dienst des Durchsetzungswillens steht, dass es Mittel zum Zweck ist.
Insgesamt handelt es sich also um die Darstellung eines von einer Person initiierten Streits und seiner Beendigung. Der „Held“ beruhigt schließlich das Keifen, besänftigt geduldig die Zeternde, erdet sie wieder, stellt wieder Harmonie her.
Das astrologische Äquivalent: Von Jupiter gestärkt, toben Mars und Merkur plötzlich (Uranus) los, setzen sich über Venus hinweg (heliozentrisch), werden aber von einer ebenfalls jupitergestützten Venus mit Hilfe von Saturn (topozentrisch) in ihre Schranken verwiesen. Mars tritt zurück, und Venus kann die Oberhand gewinnen.
Die Ehe konnte 55 Jahre bestehen, da derartige Abläufe immer wieder möglich waren. Die Verhaltensweisen Paulines, die Richard fremd waren, entsprachen dennoch seinen eigenen persönlichkeitsstrukturellen Möglichkeiten, und umgekehrt war das, was Pauline bei ihm nicht verstand, ebenfalls Ausdruck eigener, nur nicht manifestierter Anlagen.
So wäre eine Trennung auch eine Art „Trennung von sich selbst“ gewesen. Zumindest unbewusst erkannten sie ihre großen Ähnlichkeiten und konnten sich gegenseitig als spiegelartige Ergänzung und andere Seite ihrer selbst verstehen. Eine Trennung wäre ein unersetzlicher Verlust gewesen.