Leonard Bernstein:

 

Venus, Mars und Bisexualität

 

Am 25.8.2018 wäre der US-amerikanische Dirigent, Komponist des Musicals West Side Story, 100 Jahre alt geworden. Sehr viel ist über ihn geschrieben worden, in zahlreichen Biografien wurde sein musikalisches Wirken wie auch seine persönliche Entwicklung, wurden seine komplexen und widersprüchlichen Eigenschaften umfassend dargestellt. Bernstein war auch bereits Gegenstand etlicher astrologischer Betrachtungen. Die folgende Kurzanalyse beschränkt sich daher auf die Faktoren seines Geburtshoroskops, die mit seiner Bisexualität in Zusammenhang stehen.

 

Die Aussage einer Freundin des damals 21-jährigen Bernstein (1939): …Auf der einen Seite konnte er sich nicht festlegen, zu welchem der beiden Geschlechter es ihn letztlich hinzog. Auf der anderen Seite wollte er unbedingt heiraten und Kinder bekommen. In seinem erotischen Leben herrschten zwei miteinander konkur­rierende Begierden…

 

Aus einem Brief des 32-Jährigen an seine Schwester Shirley: …Ich stelle mir vor, mit Felicia zu leben, und in meiner Fantasie ist sie direkt an meiner Seite, während ein unerhört schöner jemenitischer Junge am Strand vorbeigeht…

Bernstein hatte zahllose Affären mit Frauen und Männern, vor wie auch während seiner Ehe. Die folgende Analyse ist beschränkt auf diejenigen Anteile der Persönlichkeitsstruktur (= des Horoskops), die mit dieser Thematik korrelieren. Zunächst aber eine grundsätzliche Anmerkung zum Zusammenhang zwischen Künstlertum und männlicher Homo- bzw. Bisexualität..

 

 

Venus und Mars

 

Astrologisch, also persönlichkeitsstrukturell, sind innere Widersprüche und Konflikte zwischen „männlich“ und „weiblich“ eine Selbstverständlichkeit. Denn bei allen Menschen, ob Mann oder Frau, sind beide Persönlichkeitsanteile vorhanden: der Mars-analoge, zuständig für den egozen­trischen (Überlebens-)Willen, und der Venus-analoge, zuständig für den Ausgleich zwischen uns „natürlich egozentrischen“ Individuen, für die Harmonisierung zwischenmenschlicher Bezie­hungen. Wir alle sind persönlichkeitsstrukturell ambivalent. Die widersprüchlichen Intentionen müssen innerpsychisch in ein subjektiv stabiles Gleichgewicht gebracht werden.

 

Wenn nun bei einem Mann, von Natur aus Mars-affin, eine funktionale Betonung der Venus vorliegt, ist die Sensibilität, die Bereitschaft, auf Vorgänge aller Art mit Empfindungen zu rea­gieren, erhöht. Das betrifft ästhetische Reize durch Bilder, Musik, Text, Natur etc., durch Unper­sönlich-Dinghaftes also, aber auch durch Menschen. Diese bieten naturgemäß komplexere Reize als alles im weiteren Sinn Gegenständliche. Dadurch kann infolge direkter wie indirekter Wech­selwirkungen zwischen Venus und Mars eine Verwirrung, oder besser: eine Vermischung entste­hen. Der davon Betroffene hat einen erleichterten Zugang zu seinem reagiblen, „weiblichen“ Persönlichkeitsanteil. Bei dafür geeigneten Sozialisations-/ Umwelteinflüssen, also Erfahrungen, die die Venus-Mars-Thematik stark berühren, kann eine geschlechts- und rollenspezifische männ­liche psychische Haltung modifiziert, im Extremfall sogar in ihr Gegenteil verkehrt werden.

 

Zu beobachten ist, dass Männer mit einem betonten Bezug zum ästhetisch Schönen, also Venu­sischen, häufiger bi- oder homosexuelle Neigungen entwickeln als andere. Die Orientierung an Venus fördert auf erotisch-sexuellem Gebiet eine Relativierung der Männlichkeit. Beispiele dafür sind daher viele künstlerisch Kreative, in statistisch auffälligem Ausmaß Männer, die Menschen „verschönern“, so insbesondere Modedesigner, Visagisten und Maskenbildner, aber auch Fri­seure.

 

Auch die Harmonisierung von Körperbewegungen, ihre Ästhetik, ist ein Venus-Thema. So sind besonders unter Balletttänzern, aber auch unter Eiskunstläufern vermehrt Männer mit von der Norm abweichender sexueller Orientierung anzutreffen. Bei letzteren wird der Zusammenhang dadurch bestätigt, dass weit überwiegend Einzelläufer betroffen sind, kaum aber Paarläufer. Denn neben der künstlerisch-sportlichen Auseinandersetzung mit der „ästhetischen Venus“ kommt es beim Paarlauf ganz selbstverständlich zu einem „normalen“ Umgang mit der „weiblichen Venus“ in Form der Partnerin.

 

Ein prägnantes Beispiel sind drei prominente bi-/homosexuelle Männer, die zwischen 10. und 12. Juli 1934 geboren wurden:

 

- am 10.7. der deutsche TV-Moderator Alfred Biolek,

 - am 11.7. der italienische Modedesigner Giorgio Armani,

 - am 12.7. der US-Pianist Van Cliburn.

 

Die Geburtszeiten sind bekannt. Alle drei standen unter dem Einfluss dieser Teilkonstellation (Darstellung ohne Felder):

Die Trigone Venus-Jupiter und Mars-Saturn bestanden vom 5.7. bis zum 15.7, wobei ersteres seine größte Exaktheit in Mitteleuropa am 10.7. gegen 20.30 erreichte, das Trigon Mars- Saturn am 11.7. gegen 23 Uhr.

 

Betont thematisiert wurden also sowohl eine Optimierung der Harmonie (Venus/Jupiter) als auch eine Ordnung des Spontanantriebs (Mars/Saturn), in Bezug auf die Sexualität mit der möglichen Manifestation als Betonung der (weiblichen) Reagibilität und Kontrolle/Hemmung der (männlichen) Akti­vität. Die beiden Themenkombinationen standen über die Kreuzung der Trigone auch direkt miteinander in Wechselwirkung.

 

 

Leonard Bernstein und seine Schwester Shirley

 

 Wie kam es nun dazu, dass der recht gut aussehende, für Frauen wohl sehr attraktive Bernstein sexuell nicht „festgelegt“ war, obwohl er, eine sehr kommunikative Persönlichkeit, im Umgang mit Frauen keinerlei Probleme hatte? Dazu eine Passage aus der 2018 erschienenen Biografie Leonard Bernstein – der Charismatiker von S. O. Müller, der auch die beiden oben genannten Zitate entnommen sind:

 

Leonard Bernsteins tiefe Zuneigung, ja erotische Bindung an seine Schwester machte es anderen Frauen schwer, eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Die Geschwister fuhren gemeinsam in den Urlaub, sangen sich spontan in einem Café die Seele aus dem Leib oder hielten die ganze Zeit Händchen, wenn sie in Tanglewood herumliefen.

 

Die astrologische Grundlage seiner erotischen Flexibilität waren direkte und indirekte Venus-Mars-Wechselwirkungen, deren thematische Entsprechungen durch interpersonelle Wechselwir­kungen mit seiner Schwester eine gesteigerte Bedeutung erhielten.

 

Hier Bernsteins Geburtshoroskop:

Leonard Bernstein, * 25.08.1918 gegen 13.00 Uhr EWT

in Lawrence/Massachusetts (73°57’ O, 40°45’ N)

 

Wichtig für das Thema Sexualität sind hier:

 

Venus Quadrat Mars (d3e, 86,9°) - (primär gespannte) Wechselwirkung zwischen „männli­chem“ und „weiblichem“ Persönlichkeitsanteil;

 

Mars Trigon Jupiter (e4f, 116,5°) - Expansivität der „männlichen“ Durchsetzung;

 

Venus Halbsextil Jupiter (d0f, 29,7°) - Expansivität der „weiblichen“ Reagibilität;

 

Venus Konjunktion Neptun (d/i, 0,7°) - neben der Musikalität/musikalischen Kreativität (wei­tere Beispiele J.S. Bach, Schubert, Chopin, Richard Strauss etc.) umfassende Empfänglichkeit für alles mit Venus Korrelierte. Auch seine starke Kommunikationsfähigkeit wurde dadurch gefördert – intuitives Erfassen, Erahnen der Erwartungen von Gesprächspartnern ermöglichte es ihm, sehr gut auf sie einzugehen.

 

Mars im Plutozeichen Skorpion im Trigon zu Pluto ((e/H)4j, 119,1°), dazu Aszendent in Skorpion: Charismatische, manipulative Wirkung, aber auch Infragestellung der männlichen Aktivität und Durchsetzung, mit der Folge einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine Wand­lung des typisch Männlichen, der ausschließlichen erotischen Ausrichtung auf Frauen.

 

Bei seiner Schwester Shirley (*23.10.1923, Geburtszeit unbekannt) stand nun Venus im Pluto­zeichen Skorpion im Trigon zu Pluto ((d/H)4j, 117,4°-118,6°): siehe Mars-Pluto bei Leo­nard – bei ihr konnte dementsprechend etwas typisch Weibliches „gewandelt“ werden.

 

Entscheidend nun die Synastrie: L.’s Venus stand im Quadrat zu S.’s Venus, auf 1,2° bis 2,4° genau, und sein Jupiter im Trigon zu ihrer Venus, auf 0,9° bis 2,2° genau. Bezogen auf Opti­mierung/Maximierung und Idealisierung konnte so ihr Venus-analoger Persönlichkeitsanteil seinen eigenen „vertreten“. Shirley wurde zu seinem eigenen, inneren „venusischen Optimum“.

 

Infolge dieser astrologischen Prämissen entwickelte er von ihrer Geburt an ein sehr enges Ver­hältnis zu ihr. Er passte sich der fünf Jahre jüngeren Schwester an, ihrer weiblichen Reagibilität (Venus Quadrat Venus). Die Folge war bei ihm ein Zurücktreten, eine starke Relativierung der Bedeutung des Männlich-Marsischen (Mars/Skorpion Trigon Pluto!). Venus wurde Mars eben­bürtig. Er lernte „auch weiblich zu empfinden“. Mars wurde nicht bedeutungslos – das ist aus physiologischen Gründen auch nicht möglich –, aber psychisch war Bernstein schließlich nicht mehr nur Mann.

 

Das bedeutet nun nicht etwa, dass er sich „weiblich“ verhielt. Es bestand nur eine erheblich gesteigerte Bereitschaft und Fähigkeit, auf Reize aller Art mit Empfindungen zu reagieren. So wurde es z. B. möglich, nicht nur Frauen, sondern auch Männer schön zu finden und auf die­sen ästhetischen Reiz so zu reagieren, wie es bei Männern üblicherweise, also ohne Betonung eines astrologischen und lebensgeschichtlichen Venuseinflusses, nur gegenüber Frauen geschieht.

 

Für seine Schwester bestand die Wandlung darin, dass sie primär eine sehr ungewöhnliche, überaus starke Bindung an ihren Bruder entwickelte. Andere Männer wurden für sie erst später wichtig. Die Innigkeit der Geschwisterbeziehung ist durch zahlreiche weitere Indizien belegt, deren Darstel­lung den Rahmen dieser Analyse sprengen würde. Weitgehend gesichert erscheint aber, dass es zwischen ihnen keine erotischen Intimitäten gegeben hat.

 

 

Diese Hypothese für die Ursache der Entwicklung einer bisexuellen Orientierung ist zwar etwas ungewöhnlich. Sie ist aber plausibel: Ein Mann mit einer dafür disponierenden Persönlichkeits­struktur versucht ab seinem sechsten Lebensjahr, seine kleine Schwester zu verstehen. Er passt sich ihren Bedürfnissen und Reaktionsweisen so an, dass er sie schließlich teilweise selbst über­nimmt. Er wird „partiell weiblich“.

 

Abschießend noch einige kurze Anmerkungen zu drei weiteren Teilen des Horoskops. Von gro­ßer Bedeutung war sicher das Trigon zwischen Mond in Widder und Saturn ((b/A)4g, 119,4°). Eine „widderhaft männlich dynamisierte Emotionalität“ stand in Wechselwirkung mit dem The­ma Ordnung und (Selbst-)Kontrolle. Bernsteins auffälliges Verhalten auf dem Podium, seine per­manente Unruhe, sein Tänzeln, seine ausladenden, oft heftigen Bewegungen, mit der Folge einer erheblichen physischen Verausgabung, waren daher keine „Show“, sondern direkter Ausdruck seiner Gefühlsdynamik. Die saturnale Hemmung konnte Übertreibungen soweit verhindern, dass er bei seinen Dirigaten nicht als skurriler Sonderling erschien. Auch sein Kettenrauchen kann durchaus als Manifestation des saturnalen Einflusses verstanden werden, als zwanghafte (g) Ableitung, Umleitung emotionaler Energie. In diesem Fall hätte das permanente Rauchen dann tatsächlich als Mittel zur Beruhigung gedient.

 

Der rückläufige Merkur zentral in seinem Zweit-Domizil Jungfrau (c/15,0° F) wies nur einen Aspekt auf, ein exaktes Biquintil zum Mond (c9b, 144,5°). Das konnte die saturnale Kontrolle (s. o.) unterstützen, als Wechselwirkung zwischen der „reinen Vernunft“ (c/F) und emotionalen Übertreibungstendenzen (b/A). Natürlich konnte durch diese Merkurstellung auch die Entwick­lung sprachlicher Fähigkeiten begünstigt werden. Sowohl sein Studium der Sprachwissenschaften als auch seine recht gute Beherrschung mehrerer Fremdsprachen weisen darauf hin.

 

Die Opposition Sonne-Uranus (a7h) war so ungenau (173,8°), dass ihr revolutionäres Potential vernachlässigbar erscheint. Allerdings kann dadurch eine Unkonventionalität der intellektuellen wie körperlichen Flexibilität gefördert worden sein.

 

 

 

      Der Autor dieser Seite:

      Bernt Hunze

 

    Seine astrologisch

    darstellbare

    Persönlichkeitsstruktur:


          Heliozentrisch:

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